Die Schattenwandlerin
- Jennifer Willert
- 31. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Eine Kurzgeschichte in mehreren Teilen
von Jennifer Willert
Letzter Teil
Hin- und hergerissen zwischen dem Gefühl endlich loslassen zu können und so dem Schmerz für immer zu entkommen und der zärtlichen Berührung an meinem Arm, lag ich ganz still auf dem Höhlenboden. Das helle Licht erwärmte meinen Körper und spendete meinem geschundenen Herz endlich Frieden. In einem gleichmäßigen Takt schlug es in meinem Brustkorb und ich spürte wie ich mich langsam beruhigte. Plötzlich hatte ich das Gefühl einige Zentimeter über dem steinernen Boden zu schweben. Alles fühlte sich leicht an.
Wieder hörte ich die Stimme auf der anderen Seite, spürte wie jemand meine Hand hielt.
Ein Film lief vor meinem geistigen Auge ab und ich sah mich wieder auf der Blumenwiese stehen, das weiße Kleid mit den blauen Kornblumen flatterte im Wind.
Sehnsucht erfüllte mich und ließ mein Herz weit werden.
Eine kleine Ewigkeit, dann war meine Entscheidung gefallen.
Ich blinzelte in das helle Licht und versuchte meine Augen zu öffnen, die sich schwer anfühlten wie Blei. Als erstes nahm ich die lange schmale Neonröhre war, die sich über mir an der Decke befand. Vorsichtig drehte ich meinen Kopf auf dem weichen Kissen. Ich lag in einem kleinen Raum. Alles darin schien weiß zu sein. Die Vorhänge, das Bettgestell, die Wände und die Decke. Ich fuhr mit den Fingerspitzen über die weiße Bettwäsche, fühlte den rauhen Baumwollstoff. Verwundert betrachtete ich die vielen Schläuche und Kabel, die mich mit Maschinen und Monitoren verbanden. Ein kontinuierliches Piepsen erfüllte den Raum. Aus den Augenwinkeln nahm ich eine Bewegung war und drehte meinen Kopf auf die andere Seite. Vor dem Fenster stand ein Tisch und zwei Stühle, dort saß mit dem Rücken zu mir eine Person. Sie hatte sich über einen Notizblock gebeugt und schien irgendetwas aufzuschreiben. Eine Weile lang beobachtete ich die Frau, als sie sich plötzlich zu mir umdrehte. Für einen Moment sahen wir uns einfach nur an. Der Ausdruck ihrer weit aufgerissenen Augen, der erst Überraschung zeigte, wechselte plötzlich in unbändige Freude. Sie sprang von ihrem Stuhl auf und mit zwei großen Schritten war sie an meinem Bett. Sie ergriff meine Hand. Tränen der Erleichterung liefen ihr über ihre Wangen.
„Ich wusste, dass du es schaffen würdest! Du bist eine Kämpferin!“, wiederholte sie immer wieder während sie mir unablässig über meinen Arm streichelte.
Auch meine Augen füllten sich mit Tränen. Sie liefen mir über die Wange und tropften auf das Kopfkissen. Ich versuchte etwas zu sagen, aber meine Stimme wollte mir nicht gehorchen. Es fühlte sich an, als hätte ich sie seit Jahre nicht mehr benutzt und so kam nur ein Krächzen über meine Lippen.
„Schschsch! Ruhe dich aus!“, flüsterte sie besorgt. „Wir finden noch genug Zeit zum Reden!“
Sie stand auf. „Ich komme gleich zurück! Ich hole nur eine Krankenschwester!“, sagte sie zu mir.
Ich sah ihr nach, als sie den Raum verließ. Erschöpft legte ich meinen Kopf zurück auf das Kissen, schloss die Augen und versank in einen tiefen Schlaf.
Ein Jahr später...
„Das macht 28 Euro!“, sagte ich zu dem jungen, nervös wirkenden Mann und reichte ihm die, in Papier eingepackten Rosen. „Und viel Erfolg!“, fügte ich mit einem Augenzwinkern hinzu.
„Dankeschön!“, antwortete mir der Mann und lächelte verlegen. „Ich hoffe, sie gefallen ihr!“
„Ganz bestimmt!“, antwortete ich ihm und sah ihm nach, als er den Blumenladen verließ.
Ich hängte ein Schild mit der Aufschrift „Mittagspause“ an einen Haken, während ich die Tür abschloss. Danach ging ich in die kleine Teeküche in den hinteren Teil des Ladens. Ich setzte mich mit einem Stück Kuchen und einer Tasse Tee an den kleinen Tisch. Während ich den Teebeutel in die Tasse gab und beobachtete wie sich das heiße Wasser langsam dunkel färbte, glitten meine Gedanken in die Vergangenheit zurück.
Vor sechs Monaten hatte ich meinen Blumenladen mitten in der Stadt eröffnet. Ein kleines Geschäft, mit einem Verkaufsraum, einer Mini-Teeküche und einem kleinen Lagerraum für die Blumen, Pflanzen und andere Gerätschaften.
Es war seit meinem Krankenhausaufenthalt so viel passiert. Noch immer befand ich mich in Therapie und traf mich wöchentlich mit meinem Therapeuten zu einem Gespräch in der Praxis. Meine Schwester war an meiner Seite und unterstützte mich, wo sie nur konnte. Darüber war ich sehr dankbar. Ich hatte mich die letzten Monate zurück ins Leben gekämpft. Trotzdem spürte ich immer noch die schwarze Leere, die durch den Tod von meinem Mann und meinem Sohn in mir entstanden war. Ich wusste, dass sie immer ein Teil von mir bleiben würde. Aber mittlerweile hatte ich genug Leben, genug Licht gesammelt, um diesen Teil in mir aushalten zu können. Manchmal wachte ich in der Nacht schweißgebadet auf, das Kopfkissen nass von meinen Tränen. Ich wusste das es Zeit brauchte, Zeit die ich mir gerne geben wollte.
Ich nahm einen Schluck warmen Tee und genoss das intensive Aroma und die Wärme, die sich in meinem Bauch ausbreitete. Ich schaute dabei aus dem Fenster. Es hatte vor kurzem noch geregnet. Jetzt schob sich die Sonne hinter den Wolken hervor und zeichnete ein filigranes Schattenmuster der Blätter eines Busches auf den Boden. Eine Amsel nahm ein ausgiebiges Bad in einer größeren Pfütze und das Wasser spritzte dabei nach allen Seiten. Ich musste lachen.
Die Welt drehte sich weiter und ich war Teil davon...





Cool, hätte nicht gedacht, dass das so endet. Gut gelungen.👍
Wow! Mit diesem Ende hätte ich nicht gerechnet. Hoffentlich folgt in der nächsten Zeit mal wieder so eine Kurzgeschichte….👍👍👍