Die Schattenwandlerin
- Jennifer Willert
- 10. Juli
- 4 Min. Lesezeit

Eine Kurzgeschichte in mehreren Teilen
von Jennifer Willert
Teil 3
Schwaches Licht drang von irgendwoher in den dunklen Gang hinein und tauchte die feucht wirkenden Steinwände in ein glänzendes, dunkles Grau. Erstaunt hielt sie in ihrer Bewegung inne und sah sich aufmerksam um. Das gedämpfte Licht war eine Wohltat nach der Zeit der Dunkelheit. Einige Meter vor ihr wurde der Gang allmählich breiter und ging dann in einen größeren Hohlraum über. Sie blickte nach allen Seiten, um die Quelle für das hereinströmende Licht ausfindig zu machen und entdeckte gut fünfzehn Meter über sich eine kleine gezackte Öffnung in der Höhlendecke. Diese ließ gerade so viel Licht hinein, dass sich die schattenartige Umrisse der Umgebung abzeichneten. Sie war der vollständigen Dunkelheit entkommen und Tränen der Erleichterung traten in ihre Augen. Dann fiel ihr das zuvor wahrgenommene Wasserplätschern wieder ein und sie lauschte konzentriert in die Stille. Dem Geräusch folgend, trat sie auf die gegenüberliegende Seite der Höhle. Kurze Zeit später tastete sie feuchten Untergrund und fühlte, wie ihr Wasser über die Fingerkuppen lief. Freudig überrascht schrie sie auf. Da es ihr zu lange dauerte bis sich ihre, zu einer Kuhle geformten, Hände mit Wasser gefüllt hatten, presste sie ihre Wange an den kühlen Felsen und trank in gierigen Schlucken. Ein Gefühl tiefster Dankbarkeit und Erleichterung überkam sie, als das unangenehme Durstgefühl endlich nachließ. Als sie nichts mehr trinken konnte ließ sie sich erleichtert auf den Boden sinken. An die Felswand gelehnt, schloss sie für einen Moment die Augen.
Helle Blitze zuckten durch ihren Kopf. Sie sah grell blinkende Lichter vor sich, überall um sie herum huschten dunkle Schatten an ihr vorbei... sie hörte leises Stimmengemurmel, dann näher kommendes Sirenengeheul. Ein besorgtes Gesicht beugte sich über sie. Der Mann sprach mit ihr, versuchte ihr etwas mitzuteilen. Die Worte drangen an ihr Ohr, aber sie konnte die Bedeutung nicht erfassen. Ein harter Steinboden, der ganze Körper schmerzte... dann endlich die erlösende Dunkelheit, die sie einhüllte.
Erschrocken riss sie die Augen auf und schnappte keuchend nach Luft. Ihr Herz raste und kalter Schweiß hatte sich auf ihrem Körper gebildet. Unbewusst griff sie sich mit beiden Händen an den Kopf. War das eine Erinnerung oder spielte ihr das Unterbewusstsein einen Streich?
Sie dachte an den Mann und den kleinen Jungen und wiederholte ihre Namen. Immer wieder bis sie spürte, dass sie ruhiger wurde.
Danach stand sie auf und untersuchte die Höhle gründlich, dieses Mal gab es keinen weiteren Gang. Sie hob ihren Kopf und sah nach oben. Dort war der Ausgang, aber wie sollte sie die gut fünfzehn Meter ohne Kletterausrüstung nach oben klettern? Sie sah sich im dämmrigen Licht die Felswände genauer an. An manchen Stellen hätte man sich sicherlich nach oben ziehen können, aber die glatten Stellen dazwischen machten das Klettern ohne Haken und Seil unmöglich.
Vielleicht würde irgendjemand ihre Hilferufe durch den Spalt in der Decke hören?
Erschöpft brach sie einige Zeit später auf dem Boden zusammen. Ihr Hals schmerzte vom vielen Rufen und Schreien. Durst quälte sie, aber sie hatte nicht einmal mehr die Kraft aufzustehen, um Wasser zu trinken. Wie spät war es jetzt? War es später Vormittag oder schon Abend? Sie sah wieder zur Decke, der Lichteinfall schien unverändert zu bleiben.
Erschöpft schloss sie die Augen und schlief ein.
Mit einem getrösteten Gefühl im Herzen wachte sie wieder auf. Es war ihr, als hätte irgendjemand etwas sehr Schönes zu ihr gesagt. Sie konnte sich nicht mehr an die Worte erinnern, aber es war eine sehr vertraute Stimme gewesen. Sie berührte ihren Unterarm. Es fühlte sich an, als hätte jemand zuvor sanft darüber gestreichelt.
Langsam stand sie auf und stillte ihren Durst, danach sah sie sich wieder in der Höhle um.
Es gab offensichtlich keinen Ausweg!
Aber irgendwie musste sie doch an diesen gottverlassenen Ort gekommen sein?
Die Zeit verging...
Sie saß da und starrte auf die Wand gegenüber.
Wenn sie Durst hatte, dann stand sie auf und trank. Wenn sie müde war, dann rollte sie sich auf die Seite zusammen und schlief.
Wie lange konnte man ohne Nahrung überleben? Waren es vier Wochen oder länger? Sie wusste es nicht genau. Manchmal erschien ihr der Mann oder der kleine Junge vor ihrem inneren Auge. Aber auch diese Bilder vermochten ihr keinen Trost mehr zu spenden. Sie würde hier unten sterben, elendig verenden und niemand würde es mitbekommen! Aber auch das war ihr inzwischen egal! Der Schlaf war eine Erlösung.
Sie lag auf einer grünen Wiese, die Sonne wärmte ihren Körper, um sie herum summten die Insekten und ein leichter Wind streichelte ihre Haut. Es war so friedlich. Sie öffnete ihre Augen und drehte sich auf die Seite. Ein Stück weiter weg beugte sich eine junge Frau zu den bunten leuchtenden Blumen hinab, um sie zu pflücken. Sie war barfuß und trug ein weißes Kleid mit blauen Kornblumen darauf. Mit einem großen Strauß auf dem Arm drehte sie sich um und kam näher. Ihr stockte der Atem. Sie setzte sich ruckartig auf...
Die junge Frau war sie selbst.
Ich saß ganz still da. Aus Angst, dass jede noch so kleinste Bewegung mir diese Erinnerung wieder nehmen könnte. Ich atmete.. EINATMEN... AUSATMEN... so wie ich es vor gar nicht allzu langer Zeit von meinem Therapeuten gelernt hatte und konzentrierte mich auf die Bilder des Traumes. Die junge Frau war ich selbst! Ich erinnerte mich an diesen Sommer und daran wie ich mich dort auf der Wiese gefühlt hatte. Ich träumte davon mich selbstständig zu machen, von einem kleinen Blumenladen mitten in der Stadt.
Aber ich hatte mir diesen Traum nicht erfüllt... Warum?
Wieder drohte mir die Erinnerung zu entgleiten und ich konzentrierte mich erneut... EINATMEN... AUSATMEN...
Ich wurde schwanger! Ich sah mich mit einem großen Babybauch eine Wand streichen. Ich war nicht alleine. Irgendjemand half mir bei den Malerarbeiten. Wir lachten. Es war der Mann...
Der kleine Junge... es war mein Kind... mein Baby!
Tränen liefen mir über meine Wangen., tropften von meinem Kinn auf den Boden.
Ich erinnerte mich wieder!





Spannend geschrieben. Ich hab keine Idee, wie das ausgehen könnte.
Sehr spannend geschrieben …..jetzt wieder eine Woche warten und spekulieren, wie es weiter geht. Wie wird die Geschichte wohl enden??👍👍👍