Ein ganz normaler Morgen
- Jennifer Willert
- 23. Jan.
- 3 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 31. Jan.

Jeden Morgen das gleiche Programm; Kaffee kochen, Frühstück für meine Tochter, Futter für den Hund, Pausenbrot machen und Getränkeflasche füllen und das morgendliche Gassigehen mit unserem vierbeinigem Freund. Schon ab zwei Frauen im Haushalt ist der Streit, WANN und vor allem, WIE LANGE wer ins Bad geht vorprogrammiert. Da kann es in der Hektik schon mal passieren, dass das Trockenfutter für den Hund auf dem Tisch und das Müsli auf dem Boden landet. Irritierte Blicke meiner MitbewohnerINNEN verraten mir schnell den begangenen Irrtum.
Im engen Gang stoßen wir aneinander, eingepackt in dicke Jacken mit dem zuvor eilig gepackten Schulrucksack und meinem Korb, den ich praktisch überall mit hinnehme. Unter genervten Blicken, Gemecker und Gezicke verlassen wir die Wohnung.
Eis an der Scheibe. So ein Mist!
Mit einem gekonnten Hechtsprung lande ich auf dem Fahrersitz meines kleinen Autos. Ich drehe den Zündschlüssel im Schloss und starre wie gebannt auf die kleine rot blinkende Anzeige im Cockpit. 7:23 Uhr... fast pünktlich stelle ich betont heiter fest und schnalle mich eilig an. Vielmehr versuche ich es, denn bei all' der Hektik findet meine Hand im Halbdunkel keine Steckverbindung für den Verschluss des Gurtes. Mit ungelenken Bewegungen stochere ich seitlich an meinem Sitz in der Tiefe herum und fluche laut.
Meine Tochter schaut mich missmutig von der Seite an: „Kann ich dir irgendwie behilflich sein?“
„Hab alles im Griff!“, antworte ich mit gepresster Stimme und finde, eher aus Zufall endlich das Schloss. Es macht „KLICK“ und erleichtert richte ich mich auf. Ich starte den Motor und fahre mit Entschlossenheit und großem Aktionswillen rückwärts aus meinem Parkplatz gegen die, am Straßenrand stehende, Mülltonne.
„Ups!“, rufe ich, verziehe mein Gesicht zu einer Grimasse und den Kopf zu den Schultern.
Genervt schnallt meine Tochter sich ab und verlässt das Auto.
Kurze Zeit später kommt sie wieder zurück und noch während sie einsteigt stellt sie fest:“ Die Mülltonne hat jetzt eine Beule, dein Auto aber nicht!“
„Dann ist ja alles Bestens!“, entgegne ich ihr und setze noch einmal zum Rückwärts Ausparken an.
Ich fahre los. Nein ich rase los! Wie ein Rennfahrer der Formel-1 nehme ich die erste Kurve, gefolgt vom Überfahren einer dunkelgelben Ampel und dem energischen Abbremsen hinter einem Lastkraftwagen, der in Schneckentempo anscheinend ein ähnliches Ziel verfolgt wie wir.
Laut fluchend sitze ich am Steuer, das Lenkrad mit verbissenem Ärger fest umklammert.
„Das gibt es doch gar nicht! Immer, wenn man es mal eilig hat!“
„Mama! Du hast es immer eilig!“, stellt meine Tochter sachlich fest. „Was wahrscheinlich daran liegt, dass wir wegen DIR am Morgen prinzipiell zu spät dran sind!“
„Stimmt doch gar nicht!“, sage ich mit echter Entrüstung in der Stimme, während ich versuche meinen langsamen Vordermann auf einer zweispurigen Straße links zu überholen. Ich schätze gerade meine Möglichkeiten ab. „Kann ich nach dem Überholvorgang noch vor der nächsten Kreuzung wieder auf die rechte Seite wechseln, um dann rechts abzubiegen?“
Als der Lastkraftwagen auf die linke Seite wechselt.
„Perfekt!“, jubele ich und ziehe mit Siegesmiene und einem QUEEN-MOM-Winken an ihm vorbei.
Der LKW-Fahrer wirkt irritiert. Wahrscheinlich fragt er sich den halben Vormittag, wer das wohl gewesen ist.
Aber egal! Wir haben keine Zeit uns darüber Gedanken zu machen. Wir haben eine Mission! Meine Tochter muss um 7:45 Uhr in der Schule sein. Und ich werde alles geben, um dieses Ziel zu erreichen. Das bin ich meiner Tochter schuldig!
Eine ältere Dame, die mit rheumageplagten, langsamen Schritten, den Rollator vor sich herschiebend, die Straße überquert erfährt bei meinem rasanten Herankommen einen wahren Energieschub und erhöht die Anzahl ihrer Schritte in der Minute auf das Doppelte.
Meine Tochter und ich liefern uns eine heiße Diskussion darüber, ob die, gerade überfahrene Ampel nun rot war, oder nicht.
Ich frage mich, ob das helle Aufblitzen eines Lichtes direkt vor uns von einem Gewitter kommt, welches bei offensichtlich ankündigendem, strahlend blauem Himmel und Sonnenschein aufzukommen droht. Ein Blick auf den Tacho lässt den Wunsch nach einem plötzlichen Spontan-Gewitter größer werden.
In einem Anfall von leichter Aggression möchte ich am allerliebsten den Fahrradfahrer vor uns von seinem Rad stoßen. In absoluter Gemütlichkeit hat er anscheinend nichts Besseres zu tun wie, leicht gestresste Autofahrer in Eile, von ihrem weiteren Weg abzuhalten.
„Der fährt doch mitten auf der Straße!“, stelle ich empört fest.
„Genau! Das macht der bestimmt mit Absicht!“, entgegnet meine Tochter amüsiert. „Der will dich einfach nur ärgern!“
„Tssss!“, antworte ich nur und setze zu einem fragwürdigen Überholmanöver an.
Ich nehme die letzte Kurve mit Schwung, rase die Straße entlang, um dann mit quietschenden Reifen vor der Schule zum Stehen zu kommen.
7:44 Uhr!
„Pünktlich, wie die Deutsche Bahn!“, rufe ich und zwinkere meiner Tochter zu.
„Danke Mama!“, entgegnet diese. „Das nächste Mal nehme ich den Bus!“





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