Platz für Chaos
- Jennifer Willert
- 3. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Es ist am frühen Nachmittag an einem unspektakulären Mittwoch, als ich die letzten Handgriffe für das Mittagessen erledige. Ich schütte die fertig gekochten Nudeln in ein Sieb, rühre ein letztes Mal die Tomatensauce um und verfeinere den Salat noch mit ein paar frischen Kräutern. Gut gelaunt und mit jeweils einem vollen, dampfenden Teller in der Hand verlasse ich die Küche und steuere den Esstisch an. Da fällt mein Blick auf das Platzdeckchen, welches den Platz meiner Tochter ziert.
Ärgerlich stelle ich meinen Teller auf meiner Seite ab und bleibe für einen Moment unschlüssig mit dem anderen Teller vor dem Tisch stehen. „Kein Platz! Was für ein Chaos!“, denke ich frustriert und seufze laut.
Es ist immer dasselbe! Der Platz meiner Tochter gleicht einer Müllhalde. Da tummeln sich zwischen benutzten Gläsern und Tassen, zerknüllte Servietten, ihr Taschengeld, welches sie von mir Anfang der Woche ausgezahlt bekommt, Kugelschreiber, Schulsachen, Kaugummis und andere Dinge. An den wenigen freien Zwischenräumen findet sich je nach Wochentag gleich mehrere der Vitamin B-Tabletten, die sie eigentlich täglich einnehmen soll. Natürlich nimmt sie die Kapseln in aller Regelmäßigkeit NICHT ein und sie vergisst auch die schmutzigen Tassen in den Geschirrspüler einzuräumen.
Und überhaupt... meiner Tochter scheint zurzeit an einer unerklärlichen Art von, immer wiederkehrender Erinnerungslosigkeit einem, nennen wir es mal pubertären Gedächtnisschwund zu leiden. Ursächlich für diese präzise, mütterliche Diagnose sind einige Auffälligkeiten in ihrem derzeitigen Verhalten. Dazu zählen zum Beispiel, das hartnäckige Horten von Tupperwaren verschiedenster Größen in ihrem Zimmer. Dies fällt immer erst dann auf, wenn sich keine Behältnisse mehr finden, in der ich ihr Pausenbrot verstauen kann. Nach betont höflicher Anfrage erhalte ich am frühen Morgen gleich 20 Brotboxen auf einmal. Die Wiedersehensfreude hält sich dann beim Anblick der verschmutzten und verkrusteten, teils stinkenden bunten Dosen allerdings in Grenzen. Genauso verhält es sich mit schmutzigem Geschirr. Ein Blick durch die Zimmertür ins ewige Chaos lässt mich auf einen Schlag die Hälfte unseres Geschirres wiederentdecken. Auf die dringliche Bitte von mir, Selbiges zügig zurückzubringen, bekomme ich nach Ablauf von weiteren Tagen gnädigerweise zwei Tassen und ein Glas in die Küche gebracht. Auf die Frage, wo denn der Rest des Geschirres sei, folgt nur ein verständnisloser Blick.
Gehe ich dann mit meiner Tochter an der Hand in ihr Zimmer und weise stumm auf die 150 anderen Tassen, Teller und Gläser, ist die normale Reaktion:
„Ach das meinst du!“
Die Sache mit dem Müll...
„Nimmst du bitte den Müll mit raus?“, frage ich meine Tochter vor der Schule.
„Mach' ich!“, schallt eine fröhliche Stimme aus ihrem Zimmer.
Als ich eine Stunde später die Wohnung verlasse, steht der Müll noch in der Küche. Seufzend trage ich ihn raus.
Eine Woche später...
„Nimmst DU bitte den Müll mit raus?“
„Na klar!“, antwortet mir meine Tochter während sie ins Bad geht.
Ich stelle den Müllbeutel in den Gang vor die Haustür.
Als ich eine Stunde später die Wohnung verlassen will, falle ich fast über den Müllsack, der noch im Gang steht.
Eine weitere Woche später...
Das gleiche Spiel...
Wieder eine Woche später...
Ich lauere mit dem Müllsack in der Hand in der Abstellkammer und spähe durch die leicht geöffnete Tür in den Gang. Ich warte...
Als meine Tochter den Gang betritt und ihre Schuhe anzieht springe ich aus der Abstellkammer in den Gang, mit dem Müllsack in der Hand fuchtele ich wild vor ihrem Gesicht hin und her.
„NIMMST DU BITTE DEN MÜLL MIT RAUS?“
„Was ist eigentlich falsch mit DIR?“, raunzt mich meinte Tochter an. Kopfschüttelnd nimmt sie mir den Müllsack aus der Hand und verlässt die Wohnung.
Mit hocherhobenem Haupt schreite ich zurück in die Küche und feiere meinen Teilsieg mit einer weiteren Tasse Kaffee.
Schon vor längerer Zeit habe ich angefangen das Zimmer meiner Tochter nicht mehr als, zu der Wohnung dazu gehörigen Raum zu betrachten. Es ist vielmehr ein isolierte Kammer irgendwo im Universum. Mit dieser Einstellung gelingt es mir die meiste Zeit großzügig über das immerwährende Chaos darin hinwegzusehen. Sonst würde es zwangsweise zu einer immensen Kollision zwischen meiner perfektionistischen Art und zugegebenermaßen, manchmal übertriebenen Ordnungssinn und den etwas weniger perfekten Vorstellungen meiner - ansonst so wunderbaren :) - Tochter kommen.
Ich stelle den vollen Teller mitten auf das Sammelsurium an Dingen auf ihrem Platzdeckchen ab und setze mich an den Tisch.
Kurz darauf kommt sie auf mein Rufen aus ihrem Zimmer, setzt sich an ihren Platz und fängt an zu essen. Erwartungsvoll schaue ich meine Tochter an. Keine Reaktion!
Ich versuche es ein letztes Mal: „Ist dein Platzdeckchen so eine Art repräsentative Vorschau auf dein Zimmer?“
Ein verständnisloser Blick ist die Antwort.





Ja, kids haben ihre eigene Vorstellung von Ordnung. 🤔
….hmmmm….kommt mir irgendwie bekannt vor….😂😂