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Verstaubte Erinnerungen

  • Autorenbild: Jennifer Willert
    Jennifer Willert
  • 8. Mai
  • 4 Min. Lesezeit

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„Guten Tag Frau Kürbiskopf!“

„Guten Tag Frau Zwiebelschale! Wie geht es Ihnen?“

„Danke der Nachfrage! Sehr gut, nur mein Rheuma plagt mich heute wieder ganz besonders... muss am Wetter liegen! Sie wissen schon.“

„Ich weiß meine Liebe! Was möchten Sie einkaufen?“

„Ich bekomme heute Besuch zum Kaffee – es ist der Geburtstag von meiner Enkelin...!

Haben Sie den einen Kaffee da?

Sie wissen schon, der in der blauen Verpackung, den ich auch schon letzte Woche bei Ihnen gekauft habe.“

„Selbstverständlich meine Liebe! Hier, bitte schön! Möchten sie auch noch ein paar vertrocknete Kekse dazu? Die sind heute im Angebot!“

„Sehr gerne! Vielen Dank! Was kostet das alles zusammen?“

„27 Euro und 45 Cent, bitte!“

„Was 27 Euro, das ist aber ganz schön teuer!“

„Also gut, dann geben Sie mir 1 Euro!“

„Schon besser! Hier... Bitteschön!“

„Dankeschön!“

„Auf Wiedersehen!“

„Auf Wiedersehen! Und grüßen Sie mir den Herrn Gemahl!“

Ein leichtes Lächeln umspielt meine Lippen, als ich an die vielen Einkäufe im Kaufladen meiner Tochter denke. Sie hatte das Teil von mir zu ihrem 3. Geburtstag bekommen und es verging fast kein Tag, ohne das wir damit gespielt haben.

„Eine schöne Zeit!“, denke ich ein klein bisschen wehmütig, während ich die vielen Verpackungen und eine kleine Kasse mit Spielgeld zurück in die Kartonage stelle. Morgen werde ich den Kaufladen einer Patientin von mir mitbringen, sie hat eine Enkelin im gleichen Alter.

„Wieder ein Teil weniger!“, denke ich und widme mich der nächsten Kiste.

Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich Ende des Jahres Umziehen werde. Eine kleine Insel mitten in der Nordsee hat es mir angetan und ich wage dort noch einmal einen kompletten Neuanfang.

Es ist nur so, dass ich mich verkleinern muss. Genauer gesagt muss alles was ich besitze, alle Möbel, mein gesamter Hausstand in einen Kleintransporter passen.

So beherrschen meinen Alltag zurzeit ganze 2 FRAGEN:

Was brauche ich?

Was kann weg?

In einem Satz: „Ich stelle zurzeit mein ganzes Leben auf den Prüfstand!“

Jede Kartonage aus dem Keller und Dachboden bringt eine weitere verstaubte, teils längst vergessene Erinnerung zu Tage.

„Sag Tschüss zu Osterhasi, Nikolausi und Co.!“, sage ich zu meiner Tochter während ich eine Figur nach der anderen in den Mülleimer fallen lasse.

Es macht Spaß in seinem Leben einmal richtig aufzuräumen, es bringt ErLEICHTerung, ja LEICHTigkeit mit sich. An manchen Tagen geht es mir LEICHT von der Hand, an anderen Tagen schwingt ein bisschen Wehmut mit.

„Mein Skateboard bleibt aber hier!“, bestimmt meine Tochter und drückt sich das lange Brett mit vier Rollen noch etwas fester an die Brust.

„Wieso?“, frage ich erstaunt. „Willst du damit frühs in die Schule fahren, oder weswegen willst Du es nicht wegwerfen?“

Sie wirft mir einen nervösen Blick zu. „Jetzt fühle ich mich unter Druck gesetzt!“, jammert sie.

„Schon gut!“, antworte ich, „dann behalte es halt noch ein bisschen. „Wenn Du die Rollen abschraubst, kannst Du es auf der Nordsee noch als Surfbrett benutzen!“, empfehle ich ihr mit einem Augenzwinkern.

Als ich auf dem Dachboden eine flache, große Kartonage finde, kommt mir eine gute Idee.

Im Wohnzimmer angekommen befülle ich sie mit meinen alten CDs, DVDs und einigen Büchern, die ich nicht mehr brauche. Auf den Deckel schreibe ich in großen Buchstaben „Zu Verschenken!“ und stelle den Karton bevor ich zur Praxis fahre vor die Tür.

Zwei Stunden später schreibt mir mein Nachbar: „Voller Erfolg! Da war gerade einer da, der hat den kompletten Inhalt mit samter Kartonage mitgenommen!“

Jetzt muss ich lachen. Um den Inhalt tut es mir nicht leid, aber um den Karton schon. Denn der war wegen seiner Höhe und Breite als Geschenke-Box perfekt gewesen.

Auch ein 12- teiliges Goldrandservice findet den Weg an den Straßenrand. Kurze Zeit später ist es weg.

Seit einer Stunde sitze ich in meinem Zimmer auf dem Boden, in den Händen halte ich ein altes Tagebuch. Fasziniert lese ich von emotionsgeladenen Situationen aus meinem Leben als 16- Jährige. Ich muss schmunzeln. Hauptsächlich ging es um Jungs, Herzschmerz, und andere Liebesangelegenheiten.

„Meine Güte! Die meiste Zeit war ich heimlich verliebt, unglücklich verliebt, oder schon wieder getrennt, bevor es richtig angefangen hatte.

Neue Menschen treten in dein Leben, manche bleiben kurz, manche länger, ein paar wenige für immer. Momentan kommt mir dieser Wechsel sehr intensiv vor. Ich habe das Gefühl, dass ich zurzeit auch im zwischenmenschlichen Bereich große Veränderungen anbahnen. Mancher Abschied kommt völlig überraschend, bei manchen Menschen fühlt es sich eher, wie ein sanftes Ausschleichen an. Überraschenderweise kommen aber auch alte Bekannte zurück und längst vergessene Freundschaften erfahren eine Wiederbelebung. Das macht mich gerade sehr glücklich! Eine Handvoll Personen werden bleiben, die finden in meinem Kleintransporter in Richtung Norden einen Platz. Manche reisen nur in meinem Herzen mit... bereit für ein Wiedersehen.

Unter Ächzen und Stöhnen ziehen meine Tochter und ich eine besonders große und verstaubte Kartonage aus einer Nische des Dachbodens hervor und öffnen den Deckel. Das spärliche Licht der Glühbirne fällt auf den Inhalt der Kiste: „Das wir das noch haben! Das haben wir ja völlig vergessen!“, stellen wir überrascht fest.






 
 
 

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2 Kommentare


Gast
12. Mai

Wage es ja nicht, das gute Skateboard zu entsorgen, nachdem ich mir die Mühe gemacht habe, es zu reparieren 😏

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Biene
08. Mai

Oh mit 16 Jahren, dass waren Zeiten 😅😉

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