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Die Schattenwandlerin

  • Autorenbild: Jennifer Willert
    Jennifer Willert
  • 3. Juli
  • 4 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 4. Juli

Eine Kurzgeschichte in mehreren Teilen

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von Jennifer Willert


Teil 2


Ihre Augenlider flatterten und grelles Licht blendete sie. Irgendwo in der Ferne war Stimmengemurmel zu hören, gedämpft als läge sie unter einer Glaskuppel. Sie spürte eine sanfte Berührung an ihrer Hand, ein zärtliches Streicheln entlang ihres Unterarmes. Oder war das nur der Wind?


Erneute Dunkelheit umfing sie, als sie die Augen öffnete. Es dauerte einen Moment bis sie begriff, wo sie war. Sie lag ganz still da und versuchte sich den Traum von eben ins Gedächtnis zurückzurufen. Aber auch dieses Mal gelang es ihr nicht die Bilder festzuhalten. Sie entglitten ihrem Bewusstsein wie der feine Sand in einer Sanduhr.

Unbändige Wut überkam sie so plötzlich wie ein unerwarteter Sturm.

Was war eigentlich los mit ihr? Wieso konnte sie sich an nichts mehr erinnern?

Der aufsteigende Zorn über ihre ausweglose Situation gab ihr die Kraft. Mit einer ruckartigen Bewegung sprang sie auf. Das Schwächegefühl und der einsetzende Schwindel machten sie nur noch wütender. Sie lief wie eine Irre durch die Höhle. Sie schrie und rief bis sie heiser war, stolperte, fiel hin, schlug sich die Knie auf, kam wieder auf die Beine weiter um Hilfe schreiend. Irgendwann brach sie erschöpft und weinend auf dem kalten Steinboden zusammen. Wimmernd, sich zusammenrollend wie ein Embryo, lag sie da.

Es war so entsetzlich still hier. Kein Laut drang zu ihr herein.

Sie fing an zu summen- Irgendein vergessenes Kinderlied.

In ihrer Erinnerung sah sie sich auf einer Bettkante sitzen, neben ihr lag eine kleine Gestalt, die Bettdecke bis zur Nasenspitze hochgezogen. Der Kopf mit dem verstrubbelten Haarschopf lag auf ihrem Schoß. Sie streichelte ihm sanft über die Wangen während sie eine Melodie summte.

„Bleibst du immer bei mir?“, flüsterte die verschlafene Stimme des kleinen Jungen.

„Für immer!“, antwortete sie leise.

Der alte Schmerz kehrte zurück. Wie ein wildes Tier wütete es in ihrem Herzen. Sie schnappte nach Atem, setzte sich auf, umschloss mit beiden Unterarmen ihre Knie und wiegte sich hin und her.

Sie konnte sich nicht einmal umbringen! Welch eine Ironie des Schicksals!

Vielleicht könnte sie die Luft anhalten bis sie erstickte! Sie verwarf den Gedanken im gleichen Moment. Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass das nicht funktionierte.

Vorher würde sie sowieso verdursten! Erst jetzt wurde ihr bewusst, wie trocken sich ihr Hals anfühlte. Sie hatte schrecklichen Durst!

Wieder schwappte eine Welle des Schmerzes über sie und ihr Herzschlag beschleunigte sich. Um der inneren Qual wenigstens einen Moment zu entkommen, konzentrierte sie sich auf ihren Atem. Sie atmete langsam durch die Nase ein, spürte wie ihr Atem ihren Brustkorb weitete, wie sich ihr Bauch ein wenig hob, danach atmete sie wieder durch den Mund langsam aus. Nach ein paar Atemzügen verlangsamte sich ihr Herzschlag, sie kam zur Ruhe und ihre Gedanken klärten sich ein wenig.

Sie besaß zwei Erinnerungen und sie atmete. Das war alles was sie hatte!

Sie brachte sich in eine aufrechte Position und konzentrierte sich unter tiefen Atemzügen auf den Mann und den Jungen. Der Junge tauchte sofort wieder in ihrem Bewusstsein auf, klar konnte sie ihn vor sich erkennen. Bei dem Mann dauerte es etwas länger bis sie ihn deutlich vor sich sah. Plötzlich wusste sie, dass der Mann der Vater des Jungen war und sie hatte zwei Namen im Kopf. Unbändige Freude über diese neue Information überkam sie. Und sie hütete ihr neues Wissen wie ein Schatz in ihrem Herzen. Immer wieder sagte sie die zwei Namen. Mal laut und deutlich, dann wieder fast flüsternd. Es hatte etwas tröstliches und stärkte ihren Willen zu überleben. Einer Eingebung folgend stand sie auf und ging zu einer der Felswände zurück. Sie fing an jeden Zentimeter Stein abzutasten. Dabei stellte sie sich auf die Zehenspitzen, um auch die oberen Wände zu untersuchen, danach ging sie abermals auf die Knie und inspizierte den unteren Teil der Höhle. Als ihre Hand plötzlich ins Leere griff, war sie selbst so überrascht, dass ein spitzer Schrei über ihre Lippen kam. Sie untersuchte die Mulde im Felsen um festzustellen, dass es sich dabei um einen röhrenartigen Gang von ungefähr einem Meter Durchmesser handelte. Er war ihr beim ersten Rundgang nicht aufgefallen, da er sich direkt am Boden der Höhle befand und sie oberhalb des Ganges getastet hatte.

Ihr Herz begann erneut zu klopfen. Was befand sich in diesem röhrenartigen Gang vor ihr? Ihr war klar, dass sie sich nur gebückt oder auf den Knien fortbewegen konnte. Bei dem Gedanken daran zog es ihr den Magen zusammen. Litt sie unter Klaustrophobie?

Aber es half nichts! Hier wollte und konnte sie nicht bleiben. Hier gab es nichts, außer Dunkelheit, Hoffnungslosigkeit und Schmerz.

Entschlossen kam sie auf ihre Knie und tastete sich langsam in den dunklen Gang hinein. Eine Weile kam sie gut voran. Danach wurde der Gang plötzlich enger und sie musste sich bäuchlings vorwärts bewegen. Der Weg war beschwerlich und ein paar Mal überlegte sie umzukehren. Aber irgendetwas in ihr trieb sie voran. Als der Gang noch enger wurde, hielt sie einen Moment in ihrer Bewegung inne und legte erschöpft ihren Kopf auf den kalten Steinboden ab. Sie brauchte einige Atemzüge, um die aufkommende Panik niederzukämpfen. Was passierte, wenn sie hier steckenblieb? Sie konnte nicht einschätzen, wie weit sie schon gekommen war. Waren es fünf Meter oder doch schon fünfzig Meter? Konnte sie überhaupt den ganzen Weg rückwärts robben? Bei diesem Gedanken ergriff sie eine weitere Panikattacke und keuchend ließ sie ihren Kopf auf den Boden sinken. Da war doch ein Geräusch? Angestrengt hörte sie in die Stille. Hatte sie sich es nur eingebildet oder war da ein leises Wasserplätschern.

Sie drehte ihren Kopf in die Richtung, in der sie glaubte etwas gehört zu haben.

Es war ihr, als tropfte irgendwo in der Nähe Wasser auf den Boden. Das bildete sie sich nicht ein!

Mit neuer Hoffnung kämpfte sie sich voran.


Fortsetzung folgt...




 
 
 

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